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Abschiebestopp light

Seit Monaten wird über die Sicherheitslage in Afghanistan diskutiert. Angesichts eines mehr als deutlichen UNHCR-Berichts war diese Diskussion von Beginn an eine Farce, die nur noch durch den unsäglichen Zynismus des deutschen Innenministers übertroffen werden konnte. Thomas de Maiziére brachte es in einem Interview mit der ARD tatsächlich fertig, die zivile Bevölkerung in Afghanistan nicht als Ziel, sondern "lediglich" als Opfer des Taliban-Terrorismus umzudeuten. 

Nach den sicheren Orten in Afghanistan gefragt, gab der Meister des Zynismus gerne die Hauptstadt Kabul an, obwohl gerade die afghanische Hauptstadt immer wieder Ziel des islamistischen Terrorismus wird. Als vor wenigen Tagen auch die deutsche Botschaft von einem Anschlag getroffen wurde und die schrecklichen Bilder des Leids und der Verwüstung ein für allemal bewiesen, dass es in Afghanistan nirgendwo sicher ist, zeigte de Maizière wieder einmal, was in ihm steckt.

Bezogen auf den zunächst kurzfristig abgesagten Abschiebeflug nach Kabul betonte er voreilig, dass dieser schnellstmöglich nachgeholt werde. Und das war längst nicht alles: Die Abschiebung sollte nicht etwa aufgrund einer neuen Bewertung der Gefahrenlage ausgesetzt werden. Nein, es ging einzig und allein um die Mitarbeiter*innen der deutschen Botschaft: "Nach dem Anschlag in Kabul gibt es für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Botschaft Wichtigeres zu tun als diese organisatorische Maßnahme." Er hatte es geschafft. De Maizière erreichte endgültig Zynismuslevel 1000!

Das auswärtige Amt hatte indes eine Reisewarnung für Afghanistan ausgesprochen: "Bombenanschläge, bewaffnete Überfälle und Entführungen gehören seit Jahren in allen Teilen von Afghanistan zum Angriffsspektrum der regierungsfeindlichen Kräfte." Diese Warnung galt offenbar nicht für aus Deutschland abgeschobene Geflüchtete. 

Gestern Abend einigte sich die große Koalition dann doch auf einen bundesweiten "Abschiebestopp" nach Afghanistan. Obwohl es erst einen Anschlag braucht, bei dem auch deutsche Staatsbedienstete in Gefahr geraten, damit die menschenfeindliche Abschiebepolitik ein Ende findet, kann das Umdenken der Bundesregierung auch als ein erster Teilerfolg des langatmigen Protests gegen Abschiebungen nach Afghanistan gewertet werden. Der fortwährende zynische Beigeschmack bei allem, was die Bundesregierung zum Thema Afghanistan beschließt, verschwindet jedoch nicht.

Der von den Grünen eingereichte Antrag auf einen generellen Abschiebestopp wurde durch die Stimmen der großen Koalition abgelehnt. Stattdessen sollen bis Juli vorerst nur noch sogenannte "Gefährder" und Straffällige abgeschoben und die "freiwillige Rückkehr" forciert werden. Innen- und Außenministerium halten es zudem für notwendig, die Sicherheitslage in Afghanistan erneut zu prüfen. Die Mitarbeiter*innen der Botschaft in Kabul können in diese Prüfung wohl nicht miteinbezogen werden. Sie sind vermutlich damit beschäftigt, die Trümmer aus ihren Büros zu tragen. 

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