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Unser Redebeitrag bei der Demonstration gegen die ZAB am 1. Juni 2018

Es sieht stark danach aus, dass die zentrale Ausländerbehörde für den Regierungsbezirk Düsseldorf bald hier in Essen errichtet wird. Im Rat gibt es eine Mehrheit für die ZAB. In Münster konnte die ZAB dank der Stimmen von SPD, Linken und Grünen per Ratsbeschluss verhindert werden. Die Freude darüber währte allerdings nicht lange. Wenige Wochen nach dem Münsteraner Ratsbeschluss stand fest, dass die ZAB für den Regierungsbezirk Münster in Coesfeld angesiedelt wird.  

Das Beispiel Münster verdeutlicht, und ich sage das bei allem Respekt für den breiten zivilgesellschaftlichen Protest gegen die ZAB in Münster, dass die berechtigte Kritik an den zentralen Abschiebebehörden nicht zu einer reinen Standortpolitik verkommen darf. Den Betroffenen wird es letztlich ziemlich egal sein, ob die ZAB in Essen oder die ZAB in Heiligenhaus oder sonst wo ihre Abschiebung organisiert hat. Vielmehr gilt es, die Umstrukturierungen im Bereich der zentralen Ausländerbehörden als eine Maßnahme einer in Gänze stetig restriktiver werdenden Asylpolitik auf Bundes- und Landesebene zu begreifen. 

Ich werde deshalb auf die momentanen asylpolitischen Zustände hier in NRW eingehen. 

Das sogenannte Rückkehrmanagement, dem die Landesregierung sogar eine eigene Stabsstelle widmet, soll weiter forciert werden. Wie auch immer dieses Rückkehrmanagement in Zukunft gestaltet werden soll, schon jetzt ist der Ausreisedruck für Asylsuchende mit sogenannter "geringer Bleibeperspektive" immens. Viele von Ihnen werden in Schnellverfahren abgearbeitet. Oft dauert es nur einen Tag bis das BAMF über das Schicksal der Betroffenen entschieden hat. Ein rechtsstaatlich sauberes Asylverfahren sieht anders aus. 

Außerdem wird schon zu Beginn des Asylverfahrens die sogenannte freiwillige Rückreise beworben. Geflüchtete, die gerade erst in Deutschland angekommen sind, werden also noch vor ihrer Anhörung durch das BAMF zur Ausreise motiviert. 

Die NRW-Landesregierung hat jüngst einen Stufenplan beschlossen, der die Marschroute für die folgenden Verschärfungen vorgibt. Um schneller und effizienter abschieben zu können, richtet die Landesregierung derzeit die Zuständigkeiten der zentralen Ausländerbehörden neu aus. Ziel ist es, für jeden Regierungsbezirk eine für Asylsuchende in Landeseinrichtungen zuständige ZAB einzurichten. Da die CDU-FDP-Koalition zudem auf Stufe 2 plant, die maximale Verweildauer für abgelehnte Asylsuchende in Landeseinrichtungen von derzeit sechs, langfristig auf maximal zwei Jahre anzuheben, ist zu erwarten, dass die zentralen Ausländerbehörden die geplante Zentralisierung der Abschiebemaschinerie auf Landesebene weiter vorantreiben sollen. 

Die Anhebung der maximalen Verweildauer in den Landeseinrichtungen, die noch durch ein Landesgesetz geregelt werden muss, hätte gravierende Folgen für die Betroffenen. Die Aufnahmeeinrichtungen befinden sich oft weit außerhalb städtischer Strukturen. Hier in Essen liegt die Erstaufnahmeeinrichtung irgendwo im Niemandsland zwischen Werden und Kupferdreh und damit, verglichen mit anderen Einrichtungen, sogar noch recht zentral. Ein jahrelanger Aufenthalt in Massenunterkünften fernab von Integrationsangeboten und Unterstützung durch ehrenamtliches Engagement ist menschenunwürdig. 

Auch die Möglichkeiten des Rechtsschutzes werden durch ein Verbleiben in den Landeseinrichtungen faktisch eingeschränkt. Die Sozialleistungen, die den Geflüchteten zustehen, werden dort nur in Form von Sachleistungen und einem Taschengeld ausgezahlt. An sich ist es schon absurd und bevormundend einem erwachsenen Menschen wie einem Teenager ein wöchentliches Taschengeld auszuzahlen. Im Monat stehen alleinstehenden Geflüchteten gerade einmal 135 Euro zur Verfügung. Damit ist es nahezu unmöglich die hohen Kosten für eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt zu stemmen. Und wir dürfen nicht vergessen, dass 2017 fast die Hälfte aller ablehnenden Asyl-Bescheide von den Verwaltungsgerichten kassiert wurden. Ein guter Rechtsschutz ist also von immenser Bedeutung, für Geflüchtete in Landeseinrichtungen aber kaum bezahlbar. Geflüchtete müssen in einem Rechts- und Sozialstaat auch die finanzielle Möglichkeit haben, ihr Recht vor Gericht zu erstreiten.  

Personen aus sogenannten "sicheren Herkunftsländern" können schon jetzt konform mit dem Asylgesetz für das gesamte Asylverfahren bis zur Abschiebung in Massenunterkünften festgehalten werden. Langfristiges Ziel ist es, nur noch anerkannte Geflüchtete den Kommunen zuzuweisen.

Vor allem Kinder leiden unter der langen Aufenthaltsdauer in den Großlagern. Die Schulpflicht greift in NRW, anders als in vielen anderen Bundesländern, erst bei der Zuweisung in eine Kommune. Es ist leider schon jetzt so, dass geflüchtete Kinder jahrelang nicht zur Schule gehen dürfen. Das ist geplante und staatlich verordnete Desintegration!

Wir fordern deshalb eine Schulpflicht für geflüchtete Kinder vom ersten Tag an. Außerdem müssen Familien mit Kindern schnellstmöglich den Kommunen zugewiesen werden. Die Herkunft oder die Einteilung in vermeintlich gute oder schlechte Bleibeperspektiven darf darauf keinen Einfluss haben. Die UN-Kinderrechtskonvention gilt auch in Deutschland – und zwar unabhängig von der Herkunft der betroffenen Kinder!

Die bereits bestehenden Schwerpunkteinrichtungen für sogenannte sichere Herkunftsstaaten zeigen, welche gravierenden Folgen die Asylpolitik für Menschen in großen Sammelunterkünften hat. In manchen Einrichtungen herrschen Zustände, die in einem Rechtsstaat eigentlich nicht möglich sein dürften. Menschen werden bewusst isoliert, dürfen keinen Besuch empfangen, werden durch Zimmerkontrollen schikaniert. Ehrenamtliche Engagierte und die Presse haben keinen Zugang und medizinisch notwendige Behandlungen werden verwehrt. Dass in solchen Einrichtungen das Konfliktpotenzial steigt, ist alles andere als verwunderlich.

Wenn Horst Seehofer befürchtet, dass in Flüchtlingsunterkünften rechtsfreie Räume entstehen könnten, dann hat er Recht. Nur ist es nicht der Staat, der dort geltendes Recht nicht durchsetzen kann. Es sind die Geflüchteten in manchen dieser Einrichtungen, die unter einer mangelnden Rechtsstaatlichkeit leiden. Und das ist der eigentliche Skandal!

Wir haben es also mit einer Asylpolitik zu tun, in der das merkwürdige Konstrukt der Bleibeperspektive darüber entscheidet, wer integriert und wer ausgegrenzt wird, in der Kinderrechte missachtet und faire rechtsstaatliche Verfahren stark eingeschränkt werden.  

Zum Schluss möchte ich noch einmal auf einen Aspekt aufmerksam machen, der hier von zentraler Bedeutung ist. In Deutschland blickt man vollkommen zurecht besorgt auf die AfD. Eine rechtsradikale, flüchtlingsfeindliche Partei im Bundestag bietet dazu sicherlich auch allen Grund. Doch die ständigen Asylrechtsverschärfungen gehen nicht auf das Konto der AfD. Mit Sicherheit ist das, was flüchtlingspolitisch in Deutschland derzeit passiert, auch eine Reaktion auf die AfD. In erster Linie repräsentiert die flüchtlingsfeindliche Politik auf Landes- und Bundesebene aber eben auch gängige Ressentiments aus der sogenannten Mitte der Gesellschaft. In NRW sind es die CDU und die FDP, auf Bundesebene die CDU / CSU und die SPD, die verantwortlich für eine Asylpolitik sind, die immer mehr an die deutschen Zustände der 90er-Jahre erinnert. Ähnlich wie damals brennen fast täglich Einrichtungen für Geflüchtete. Ähnlich wie damals sind es die Großparteien und ihre Koalitionspartner, die, durch die Wählerstimmen legitimiert, das Asylrecht beschneiden. 

Das sind die Zustände, die es zu bekämpfen gilt. Ob eine ZAB in Essen oder woanders entsteht, ist dabei zweitrangig. Unser Protest muss aufs Ganze zielen und darf sich nicht in lokalpatriotischen Phrasen und nett gemeinten Protesten für eine weltoffene Stadt verlieren. Es sind die unsäglichen Zumutungen der Abschiebemaschinerie, die es zu kritisieren gilt. Lasst uns für die Rechte von Geflüchteten kämpfen, nicht für den guten Ruf dieser Stadt. 

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